"Musik aus Gefühlen und Sehnsüchten einfacher
Menschen"
Die Jiddischen Lieder der Gebrider Moischele
Nachdem viele Juden im Anschluß an die Verfolgungen im 16. und 17. Jahrhundert aus
Süddeutschland nach Polen und Rußland flüchten mußten, setzte die Blüte des
jiddischen Volksliedes in Warschauer und Krakauer Gettos ein. Der Volkston dieser Lieder,
ihre starken Gefühlsinhalte und die Unmittelbarkeit der Sprache verschaffen diesen
Liedern eine universale Wirkung. Weithin bekannt sind die "Gebrider Moischele",
die sich eben diesem Liedgut seit vierzehn Jahren widmen. Längere Zeit war es still um
die Gebrider, jetzt geben sich wieder ein Konzert. Über die Erfahrungen der
"Gebrider Moischele" mit jiddischen Liedern, Tradition und Besonderheiten
erzählt Martin Deuring im Gespräch mit Silvia Thurner.
Kultur: Wie hat die Wirkungsgeschichte der "Gebrider Moischele" begonnen?
Vor vierzehn Jahren haben Hansjörg Schmid und Markus Fritsch durch Zufall jiddische
Lieder gehört. Sie waren spontan begeistert von diesen Liedern und haben sie mit Gitarre
und Geige nachgespielt. Peter Rapp hat die beiden in die Fernsehsendung "Die große
Chance" eingeladen. Dieser Auftritt ist auf viel Resonanz gestoßen, es entstand die
Idee, eine Cassette zu produzieren. Im Zug dieser Arbeit bin ich als Kontrabassist zu den
Gebrider Moischele gestoßen.
"... ein reges Konzertleben ... "
Ganz am Anfang ist viel spontan entstanden, indem wir miteinander musiziert haben. Erst
später haben wir angefangen, Melodien für unsere Besetzung zu arrangieren. Nachdem
Hansjörg die Organisation übernommen hat, begann für uns ein sehr reges Konzertleben.
Wir haben viel mit Kulturinstituten zusammen gearbeitet. Mitte der achtziger Jahre machten
wir eine Tournee nach Polen, ein paar Jahre später reisten wir nach Israel. Öfters sind
wir im Wiener "Metropol" und im "Treibhaus" in Innsbruck aufgetreten.
Kultur: Woher kommt der Name "Gebrider Moischele"?
Das ist eine lustige Geschichte. Es gibt ein Lied das heißt "Moischele mein
Freind", Moischele ist der kleine Moses. Bei unserer Israeltournee haben die meisten
Leute über unseren Ensemblenamen gelacht. Erst später wurden wir aufgeklärt, daß der
Moischele in sämtlichen Witzen der Depp ist.
"... wir können nur von uns ausgehen ... "
Kultur: Wie habt ihr Zugang zur jiddischen Musik gefunden, habt ihr nach Liedern
geforscht und euch um eine möglichst große Authentizität bemüht oder seid ihr nach
eurem Gefühl vorgegangen?
Wir haben zuerst in die Musik hinein gefühlt. Im Laufe der Zeit haben wir uns immer
mehr für die Lieder interessiert und Hintergründe erforscht. Wir haben jedoch nie für
uns beansprucht, daß wir möglichst nahe an die originale Musik herankommen und
authentisch spielen. Wir sind keine Juden und nicht in dieser Tradition aufgewachsen,
deshalb können wir nur von uns ausgehen und das spielen, was die Lieder in uns bewirken.
Das ist meiner Meinung nach der beste Zugang und wirkt auf der Bühne authentisch.
Am Anfang haben wir jiddische Lieder gespielt, die uns gefallen. Wir haben in unseren
Konzerten nie politische Gedanken formuliert oder gezielt auf die Problematik hingewiesen,
weil wir auf keinen Fall belehrend wirken wollten. Die Musik soll für sich selbst wirken,
darin liegt auch eine politische Komponente. Wenn jemand Abneigungen gegenüber einer
Sache hat, kann er über die Musik einen Zugang findet. Dieser Gedanke ist mir im Laufe
der Zeit sehr wichtig geworden, weil wir diese Möglichkeit immer wieder anbieten. Man
muß also nicht groß philosophieren in den Konzerten. Wenn etwas belehrend wirkt,
schalten die Leute ab, denn niemand läßt sich gerne belehren, jeder Ratschlag ist ein
Schlag.
"... aus Liedersammlungen und Schellacks ... "
Jiddische Texte selbst zu vertonen, davon haben wir bewußt die Finger gelassen. Es war
nicht unsere Absicht. Unsere Veränderungen, die wir mit den zusätzlichen Stimmen und
Arrangements machen, ist genug. Die ersten Lieder haben wir von verschiedensten
Plattenaufnahmen transkribiert und arrangiert. In vielen Ländern, in denen wir
herumgekommen sind, haben wir in Musikalienhandlungen nach jiddischen Liedersammlungen und
Schellacks gesucht und sehr viel gefunden.
Kultur: Seit fünf Jahren spielt Markus Fritsch aus Zeitgründen nicht mehr bei den
Gebrider Moischele mit. Inwiefern hat sich euer Musikstil mit dem neuen Geiger Rainer
Hagman geändert?
Vor fünf Jahren standen wir vor einem Wendepunkt, wir haben uns überlegt, ob wir
aufhören oder ein neues Projekt starten sollen. Das war keine einfache Entscheidung. Mit
Rainer Hagman haben wir einen wunderbaren Geiger gefunden, der ausgezeichnet improvisieren
kann. So hat sich unser Stil gewandelt, weil wir von den fixen Arrangements etwas
abgerückt sind und einen Teil der Lieder auch improvisieren. Für mich persönlich ist
das eine sehr schöne, lebendige Musizierweise.
" ... Zuversicht ist immer dabei ... "
Kultur: Was zeichnet die jiddischen Lieder besonders aus. Sind es die Melodien und die
Rhythmik oder leben sie hauptsächlich aufgrund ihrer Texte? Wie sind die Liedtexte
gestaltet, welche Themen werden angesprochen?
Es ist der Umgang mit der Realität, der in diesen Liedern musikalisch ausgedrückt
wird. Mir ist kein Lied bekannt, das nur traurig wirkt, ebenso kenne ich keines, das eine
ungetrübte Heiterkeit ausstrahlt - wie das Leben auch spielt. Besonders faszinierend sind
die Lieder, die im Warschauer Getto geschrieben worden sind. Selbst in den trübseligen
Texten, die von schwierigsten Umständen berichten, kommen immer wieder zuversichtliche
Gedanken vor. Der Humor und die Ironie sowie die Fähigkeit über sich selbst lachen zu
können, kommen in jiddischen Liedern sehr stark zum Ausdruck und machen sie so
liebenswert.
Wie auch die Volksmusik aus unserem Kulturkreis sind die jiddischen Lieder einfach
gestaltet. Es gibt keine rhythmischen Verschiebungen oder komplizierten Tonskalen, wie sie
aus der osteuropäischen Tradition, den sephardischen Liedern, bekannt sind. Wie in
unserer Volksmusik herrschen einfache rhythmische Muster vor. Jiddische Lieder leben von
den Melodien, die auf mich sehr stark und kraftvoll wirken.
"... ein brisantes Schlaflied ... "
Es ist auch unsere Absicht, die Lieder gehörfällig und in einfachen Arrangements zu
präsentieren, so daß der Text gut verstanden wird. Die jiddische Sprache entstammt ja
der westlichen Tradition, darum verstehen wir sie relativ gut. Es ist quasi eine Mischung
aus dem Mittelhochdeutschen und Hebräischen, versehen mit verschiedensten Dialekten.
Wir haben eine große Bandbreiten mit Liebesliedern, Schlafliedern und
Widerstandslieder in unserem Repertoire. Das Titellied der neuesten CD "Schtil, di
nacht is ojsgeschternt", klingt zwar wie ein Schlaflied, der Text ist jedoch brisant.
Kultur: Ihr habt in vielen Auftritten im In- und Ausland Erfahrungen sammeln können.
Wie reagieren die Menschen auf eure Musik, habt ihr viele antisemitische Äußerungen
gehört?
Ende der achtziger Jahre haben wir eine Tournee nach Israel gemacht. Es war ein
unbeschreibliches Gefühl, als Mitteleuropäer vor älteren Leuten jiddische Lieder zu
singen, die sie aus ihrer Kindheit kennen. Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, es war
eine ganz eigene Stimmung. Die Menschen haben aber sehr positiv reagiert. Zweimal sind wir
in Krakau in einer Synagoge aufgetreten, und haben dort höchstes Lob vom Oberrabbiner
erhalten.
"... das fremdenfeindliche Potenial ... "
Wir haben nur wenig negative Erfahrungen gemacht. In Deutschland hat sich jemand
aufgeregt und gemeint, daß es ohnehin genug Juden gäbe, deshalb brauche man nicht
Jüdische Musik auch noch.
Einen massiven Unterschied im Vergleich zu Vorarlberg haben wir bei einem Auftritt in
der Nähe von Langenlois in Niederösterreich erfahren. Das ist die Gegend des
Schimanek-Junior, wo die feindliche Stimmung spürbar war. Wir haben bei diesem Konzert
befürchtet, daß ein Störakt geplant ist. Die Rückmeldung, die der Veranstalter
bekommen hat, lauteten: "Juden gibt es genug, da muß man nicht noch Werbung dafür
machen." Es sind uns aber nur diese beiden Erlebnisse zu Ohren gekommen, das ist in
vierzehn Jahren wenig. Ich glaube jedoch, daß es in Österreich ein relativ großes
Juden- und fremdenfeindliches Potential gibt.
Danke für das Gespräch.
In: Zeitschrift Kultur, April 1999, S. 28/29.
CD
Gebrider Moischele: "Schtil, di nacht is ojsgeschternt" ... jiddische
Lieder... Extraplatte EX 238-2, 1995.